Stanislaw
Szyrokoradiuk ist seit Februar 2020 römisch-katholischer Bischof von Odessa-Simferopol .
1995 lebte er fünf Wochen im Franziskaner-Kloster am Frauenberg, um in einem
Sprachintensivkurs Deutsch zu lernen. Von 1996 bis 2020 war
der 67-Jährige Direktor der Caritas in der Ukraine und besucht seit dieser
Zeit regelmäßig Deutschland. Am Sonntag, 10. September 2023 hielt er -
gemeinsam mit den Konzelebranten Pfarrer Willi Schmitt (Petersberg),
Pfarrer Piotr Kownacki (Dipperz) und Diakon Manfred Oeste (Elters) einen
Gottesdienst in Elters," nicht um zu weinen, sondern um Danke zu
sagen." Im Anschluss an die Messe hatten die Gottesdienstbesucher die
Möglichkeit, dem Bischof zum Kriegsgeschehen und der aktuellen Situation
in seiner Heimat zu stellen.
Wir haben einige Fragen und Antworten zusammengefasst.
Frage: Welche Verbindung haben Sie
zu Elters?
Bischof Stanislaw: Mein Freund
Pfarrer i. R. Willi Schmitt hat seit 2002 insgesamt 33 Transporte mit mehr als
450 Tonnen Hilfsgütern nach Odessa organisiert. Ich war am Samstag in Würzburg,
um anlässlich des 75-jährigen Bestehens der "Tagespost" einen Vortrag
"Kirche im Krieg" zu halten. Bevor ich ab Montag weitere Termine in
München und Österreich wahrnehme, möchte ich mit meinem Besuch in Elters "Danke"
sagen für die besondere Unterstützung, die wir von der Kirchengemeinde erhalten
haben. Unser Volk ist sehr dankbar für alles und denkt in seinen Gebeten immer
an seine Wohltäter.
Frage:
In der Liturgie finden sich stetig wiederholende Verse wie etwa "Der
Friede sei mit Euch" oder "Gehet hin in Frieden"
wieder. Hat sich Ihr Empfinden, wenn Sie diese Worte sagen, mit Blick auf den
Krieg verändert?
Bischof
Stanislaw:
Ja, das nehme ich seit Ausbruch des Krieges anders wahr. Heute sage ich es
anders, weil ich weiß, was Frieden bedeutet. Friede ist ein wahres
Geschenk Gottes.
Frage: In Deutschland werden die Bänke
bei Gottesdiensten immer leerer. In der Ukraine sei hingegen ein gegenläufiger
Trend erkennbar. Das heißt: In der Kathedrale von Odessa werden jetzt sechs,
statt vorher nur vier Messen gelesen. Worauf führen Sie diese neue Hinwendung
zu Kirche und Glauben zurück?
Bischof Stanislaw: Bei uns in Odessa
wird sonntags ab acht Uhr alle zwei Stunden ein Gottesdienst gefeiert, darunter
einer auf Englisch und einer für Kinder und Jugendliche. Kirche muss den
Menschen Hoffnung geben. Das bedeutet, die Menschen auch durch diese
schwierige Zeit während des Krieges zu führen. Kirche hilft ihnen, diese
Hoffnung zu haben und für eine bessere Zukunft zu beten.
Frage: Ist es überhaupt
möglich, eine Messe wie zu Friedenszeiten zu feiern?
Bischof
Stanislaw:
Ja, das ist möglich. Allerdings dürfen keine politischen Aussagen
abgegeben werden. Anfangs wurden auch Messen in Luftschutz-bunkern
gefeiert.
Frage: Ihr Bistum umfasst auch die Krim.
Besteht die Möglichkeit, diese zu besuchen? Wie wird in diesen schwer
umkämpften Gebieten das kirchliche Leben weitergeführt?
Bischof Stanislaw: Unser Weihbischof
und elf Priester sind auf der Krim und deren Gemeinden geblieben, obgleich sie
die Möglichkeit zur Ausreise gehabt hätten, zumal die Hälfte der dort tätigen
Priester aus Polen stammt und von daher in ihre Heimat hätten zurückkehren
können. Unter strengen Auflagen seitens der russischen Besatzung wird das
kirchliche Leben aufrechterhalten - soweit es geht.
Frage: Sollten Europa
und die USA noch mehr Waffen an die Ukraine liefern?
Bischof Stanislaw: Waffen sind das
Wasser für das Feuer. Putin versteht keine andere Sprache als Kraft. Wird
ihm kein Einhalt geboten, wird er immer weitergehen, zunächst in die baltischen
Staaten, dann nach Polen, dann weiter westwärts.
Frage: Das Oberhaupt der
russisch-orthodoxen Kirche Kyrill I. sieht die
Gegner Russlands als „Kräfte des Bösen“ und den Angriff Russlands „als einen
metaphysischen Kampf des Guten (Russland) gegen das Böse“. Was empfinden Sie
bei diesen Aussagen?
Bischof Stanislaw: Kyrill ist ein
Kaplan des russischen Staates. Er hilft, die russische Propaganda zu
verbreiten. Diese besteht nur aus Lügen. Der Teufel ist der Vater der
Lüge. Und das Schlimmste an diesen Lügen ist, dass das absolut Böse als eine
Art des Guten dargestellt wird. So soll es sich etwa nicht um einen Krieg,
sondern um eine Spezialoperation handeln, es nicht um Eroberung, sondern um
eine Befreiung geht, dass es sich nicht um Mord und Zerstörung, sondern sich um
den Schutz der in der Ukraine beheimateten russischen Bevölkerung vor
ukrainischen Nazis handelt.
Frage: Wie denken Sie
über das russische Volk im Allgemeinen und die russischen Soldaten im
Besonderen?
Bischof Stanislaw: Die russische
Propaganda hat alles dafür getan, dass die Russen das ukrainische Volk hassen -
und zwar ohne jeden Grund, ohne jeden Beweis. Die totale Zerstörung der
Infrastruktur, von Städten, Krankenhäusern, Schulen, Kindergärten, das
Verbrennen von ukrainischem Getreide, die Deportation von Kindern. Das sind
Zeichen von Völkermord. All das wird Millionen von Russen als das wahre Gute
präsentiert. Und viele Russen glauben es.
Frage: Gibt es aus Ihrer Sicht überhaupt
eine Möglichkeit, diesen Krieg baldmöglichst zu beenden? Wenn ja, wie sollen
Russen und Ukrainer jemals wieder friedlich zusammenleben können?
Bischof Stanislaw: Sobald die Russen alle
besetzten Gebiete geräumt haben. Irgendwann geht jeder Krieg einmal zu Ende.
Wann dies aber in diesem Fall sein wird, weiß niemand. Was das Zusammenleben
von Russen und Ukrainern in guter Nachbarschaft anbelangt, braucht es mit
Sicherheit seine Zeit. Aber Versöhnung soll und muss auf alle Fälle möglich
sein.